Das Rückenmark dient nicht nur der Übermittlung von Nachrichten zwischen Gehirn und Körper, es kann auch Bewegungen eigenständig erlernen und sich daran erinnern.
Eine aktuelle Studie hat zwei unterschiedliche neuronale Populationen identifiziert, die es dem Rückenmark ermöglichen, sich anzupassen und gelernte Verhaltensweisen unabhängig vom Gehirn zu reproduzieren. Diese Entdeckung, veröffentlicht in
Science, stellt die herkömmliche Sichtweise des Rückenmarks als bloße Übertragungsrelais in Frage. Sie eröffnet neue Perspektiven für Rehabilitationsstrategien nach Rückenmarksverletzungen.
Die Rolle des Rückenmarks wird oft auf die eines einfachen Vermittlers reduziert, der Nachrichten zwischen Gehirn und Körper überträgt. Das Rückenmark kann jedoch tatsächlich Bewegungen selbstständig erlernen und sich daran erinnern. Ein Forscherteam des
Neuro-Electronics Research Flanders (NERF) erläutert, wie zwei verschiedene neuronale Gruppen es dem Rückenmark ermöglichen, sich anzupassen und erlerntes Verhalten völlig unabhängig vom Gehirn zu erinnern.
Die rätselhafte Plastizität des Rückenmarks
Das Rückenmark steuert und justiert unsere Aktionen und Bewegungen, indem es verschiedene Quellen sensorischer Informationen integriert, und es kann dies ohne Zutun des Gehirns tun. Darüber hinaus können die Nervenzellen im Rückenmark lernen, verschiedene Aufgaben eigenständig anzupassen, vorausgesetzt, sie werden ausreichend wiederholt geübt. Die Art und Weise, wie das Rückenmark diese bemerkenswerte Plastizität erreicht, hat Neurowissenschaftler lange beschäftigt.
Eine dieser Neurowissenschaftlerinnen ist Professorin Aya Takeoka. Ihr Team am
Neuro-Electronics Research Flanders (NERF) untersucht, wie sich das Rückenmark von Verletzungen erholt, indem es die Verdrahtung der Nervenverbindungen sowie deren Funktion und Veränderung beim Erlernen neuer Bewegungen erforscht. "Wir haben Beweise für das 'Lernen' innerhalb des Rückenmarks aus Experimenten, die bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreichen. Die Frage, welche Neuronen beteiligt sind und wie sie diese Lernerfahrung kodieren, blieb jedoch unbeantwortet", erklärt Prof. Takeoka.
Um zu untersuchen, wie das Rückenmark lernt, haben Doktorand Simon Lavaud und seine Kollegen im Takeoka-Labor eine experimentelle Anordnung entwickelt, um Bewegungsänderungen bei Mäusen zu messen, inspiriert von Methoden, die in Insektenstudien verwendet werden. "Wir haben die Beiträge von sechs verschiedenen neuronalen Populationen bewertet und zwei Gruppen von Neuronen, eine dorsale und eine ventrale, identifiziert, die motorisches Lernen ermöglichen."
"Diese beiden Neuronengruppen wechseln sich ab", erklärt Simon Lavaud. "Die dorsalen Neuronen helfen dem Rückenmark, eine neue Bewegung zu lernen, während die ventralen Neuronen helfen, sich an die Bewegung zu erinnern und sie später auszuführen." Die detaillierten Ergebnisse, kürzlich in
Science veröffentlicht, zeigen, dass die neuronale Aktivität im Rückenmark verschiedenen klassischen Lern- und Gedächtnistypen entspricht.
Ein tieferes Verständnis dieser Lernmechanismen wird entscheidend sein, da sie wahrscheinlich zu unterschiedlichen Weisen beitragen, wie wir Bewegungen lernen und automatisieren, und sie könnten auch im Kontext der Rehabilitation relevant sein, sagt Prof. Aya Takeoka. "Die Schaltkreise, die wir beschrieben haben, könnten Mittel bereitstellen, mit denen das Rückenmark zur Bewegungslernen und zur langfristigen motorischen Erinnerung beitragen kann, was uns hilft, uns nicht nur gesund zu bewegen, sondern besonders während der Erholung von Hirn- oder Rückenmarksverletzungen."