Die Vielfalt des Lebens ist nicht nur eine Frage der Genetik 🧬
Veröffentlicht von Adrien, Quelle: Universität Genf Andere Sprachen: FR, EN, ES, PT
Eine Studie der UNIGE zeigt, wie mechanische Zwänge, die mit dem Wachstum von Geweben verbunden sind, zur Entstehung der Vielfalt biologischer Strukturen beitragen.
Wie lässt sich die morphologische Vielfalt der Arten erklären? Wenn die Genetik die spontan einfallende Antwort ist, so ist sie jedoch nicht die einzige Erklärung. Durch die Kombination von Beobachtungen der Embryonalentwicklung, fortschrittlicher Mikroskopietechniken und computergestützter Modellierung zeigt ein multidisziplinäres Team der Universität Genf (UNIGE), dass die Entwicklung der Kopfschuppen von Krokodilen auf einen Prozess zurückzuführen ist, der mit der Mechanik des wachsenden Gewebes verbunden ist, und nicht auf molekulare Genetik.
Die Vielfalt dieser Schuppen, die bei verschiedenen Krokodilarten beobachtet wird, stammt somit aus der Evolution mechanischer Parameter. Diese Ergebnisse bieten neue Einblicke in die physikalischen Kräfte, die an der Entwicklung und Evolution der Formenvielfalt des Lebens beteiligt sind. Sie könnten auf andere komplexe biologische Systeme angewendet werden. Diese Arbeit ist in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.
Der Ursprung der Vielfalt und der morphologischen Komplexität von Lebewesen bleibt eines der größten Rätsel der Wissenschaft. Um es zu lösen, untersuchen Wissenschaftler verschiedene biologische Arten. Das Labor von Michel Milinkovitch, Professor an der Abteilung für Genetik und Evolution der Fakultät für Naturwissenschaften der UNIGE, erforscht die Entwicklung und Evolution der Hautanhangsgebilde von Wirbeltieren – also Federn, Haare und Schuppen –, um die grundlegenden Mechanismen zu verstehen, die für diese Vielfalt verantwortlich sind. Allgemein wird angenommen, dass die embryonale Entwicklung dieser Anhangsgebilde durch genetische Prozesse gesteuert wird, die Wechselwirkungen zwischen vielen Molekülen, die aus der Genexpression hervorgehen, beinhalten.
Wie ein sich ausbreitender "Riss"
Analysen der Entwicklung von Krokodilembryonen, die zuvor durchgeführt wurden, ermöglichten es dem Genfer Labor jedoch zu zeigen, dass die Schuppen, die Schnauze und Kiefer bedecken, im Gegensatz zu denen des Körpers, aus einem Prozess stammen, der der Ausbreitung von Rissen in einem Material unter mechanischer Belastung ähnelt. Die genaue Natur dieses physikalischen Prozesses blieb jedoch unbekannt.
Das Team der UNIGE hat dieses Rätsel dank neuer, hochgradig multidisziplinärer Arbeiten gelöst. Zunächst beobachtete es das Auftreten der Schuppen während der Entwicklung des Nilkrokodilembryos, die etwa 90 Tage dauert. Während die Haut, die die Kiefer und die Schnauze bedeckt, am 48. Tag noch glatt ist, erscheinen Hautfalten ab dem 51. Tag, die sich dann ausbreiten und verbinden, um polygonale Schuppen von zwei Arten zu bilden: breite und längliche auf der Oberseite der Schnauze, kleinere und unregelmäßige an den Seiten der Kiefer.
Die Gruppe von Michel Milinkovitch wollte herausfinden, ob Unterschiede in der Wachstumsgeschwindigkeit zwischen der Epidermis, der Dermis und den darunterliegenden Schädelknochen das Auftreten der Falten und damit der Schuppen erklären könnten. Um dies zu erreichen, entwickelte sie eine Technik zur Injektion eines Hormons in das Krokodilei, das das Wachstum und die Versteifung der Epidermis aktiviert – den epidermalen Wachstumsfaktor EGF (für Epidermal Growth Factor). Dabei entdeckte sie, dass die Aktivierung des Wachstums und die Erhöhung der Steifigkeit der obersten Hautschicht eine dramatische Veränderung der Organisation der Hautfalten bewirkt.
"Wir beobachten, dass sich die Haut zunächst abnormal faltet und ein labyrinthartiges Netzwerk bildet, das den Falten des Gehirns ähnelt, aber schließlich viel kleinere Schuppen wie bei Kaimanen bildet", erklären Gabriel Santos-Durán und Rory Cooper, Postdoktoranden im Labor von Michel Milinkovitch und Mitautoren der Studie. Diese Beobachtungen zeigen, dass die Variation in der Wachstumsgeschwindigkeit und der Versteifung der Hautschichten ein einfacher evolutionärer Mechanismus ist, der in der Lage ist, eine große Vielfalt von Schuppenformen unter verschiedenen Krokodilarten zu erzeugen.
Ein 3D-Modell der Kieferentwicklung
Die Wissenschaftler verwendeten dann fortschrittliche Mikroskopietechniken, sogenannte "Lichtblatt-Fluoreszenz", um die Wachstumsgeschwindigkeit und die Dickenvariation der verschiedenen Gewebe (Epidermis, Dermis, Knochengewebe) überall am Kopf des Embryos zu quantifizieren, sowie die Organisation der Kollagenfasern in der Dermis. Das Genfer Team nutzte diese Daten, um ein dreidimensionales (3D) Computermodell zu erstellen, das es ermöglicht, die Wachstumsgeschwindigkeit und die Steifigkeit der Gewebe zu variieren.
"Durch die Untersuchung dieser verschiedenen Parameter können wir die verschiedenen Schuppenformen erzeugen, die den mit EGF behandelten und unbehandelten Nilkrokodilen entsprechen, aber auch dem Brillenkaiman oder dem Mississippi-Alligator. Diese Computersimulationen zeigen, dass die Mechanik der Gewebe leicht die Vielfalt der Formen bestimmter anatomischer Strukturen bei verschiedenen Arten erklären kann, ohne molekulare genetische Faktoren einzubeziehen", schließt Ebrahim Jahanbakhsh, Informatikingenieur im Labor von Michel Milinkovitch und Mitautor der Studie.