Wie können die Augen von Tieren auch nach dem Erwachsenenalter weiter wachsen? Diese lange Zeit unbeantwortete Frage erhält neue Einblicke durch die Studie eines Meereswurms mit erstaunlichen visuellen Fähigkeiten. Die Entdeckung einer auffälligen Ähnlichkeit mit Wirbeltieren eröffnet Perspektiven auf gemeinsame evolutionäre Mechanismen.
Der Meereswurm *Platynereis dumerilii* ist ein Modellorganismus, der verwendet wird, um die Entwicklung von Augen und Gehirn zu verstehen. Seine kamerähnlichen Augen, vergleichbar mit denen von Wirbeltieren, verschaffen ihm ein scharfes Sehvermögen und entwickeln sich kontinuierlich sein ganzes Leben lang weiter. Ein internationales Forschungsteam hat sich diesem Phänomen gewidmet, um seine Geheimnisse zu entschlüsseln.
Der Meereswurm Platynereis dumerilii, ein ausgewachsenes Weibchen. Credit: Florian Raible
Die Analyse der Netzhaut dieser Würmer offenbarte eine spezifische Zone an ihrer Peripherie, in der neurale Stammzellen konzentriert sind. Diese Region, genannt ziliare Marginalzone, ist der Ort aktiver Zellteilung während der Phasen des Augenwachstums. Nadja Milivojev, Erstautorin der Studie, beobachtete, dass sich diese Zellen genau am Rand der Netzhaut teilen, ein Merkmal, das auch bei einigen Wirbeltieren wie Fischen vorhanden ist.
Tatsächlich produziert bei Fischen und Amphibien die ziliare Marginalzone neue Netzhautneuronen, die die Vergrößerung des Auges ermöglichen. Die Entdeckung einer analogen Struktur beim Wurm zeigt, dass ähnliche zelluläre Lösungen unabhängig im Laufe der Evolution entstehen können. Florian Raible, einer der Hauptautoren, erklärt, dass diese Beobachtung zeigt, wie die Augen dieser Wirbellosen Photorezeptoren hinzufügen und kontinuierlich an Größe zunehmen.
Blick auf das Auge eines Wurms mit sich teilenden Zellen, gelb eingefärbt. Credit: Nadja Milivojev
Ein weiterer unerwarteter Aspekt betrifft den Einfluss des Umgebungslichts auf dieses Wachstum. Molekulare Analysen haben gezeigt, dass ein lichtempfindliches Molekül, das c-Opsin, die Aktivität der Stammzellen moduliert. Dieses Molekül, das in den Vorläufern der Photorezeptoren des Wurms vorhanden ist, wirkt wie ein Schalter, der das Außenlicht mit der Zellproliferation verbindet. Somit dient Licht nicht nur dem Sehen; es ist auch an der Entwicklung des Auges beteiligt (Erklärung am Ende des Artikels).
Diese Ergebnisse tragen dazu bei, eine Lücke im Verständnis des Augenwachstums bei Wirbellosen und Wirbeltieren zu schließen. Sie lassen vermuten, dass gemeinsame Prinzipien die Evolution der Sinnesorgane leiten könnten. Neue Fragen tauchen auf, insbesondere zum potenziellen Einfluss von künstlichem Licht auf diese biologischen Prozesse. Die Erforschung der Stammzellsysteme dieses Wurms könnte helfen zu verstehen, wie Nervengewebe sich anpasst und regeneriert.
Vergleich der Augen eines Borstenwurms (links) und eines Fisches (rechts), eine ähnliche Stammzellzone zeigend. Credit: Paul Knabl
Kristin Tessmar-Raible, eine der Hauptautorinnen, weist darauf hin, dass solche Entdeckungen wichtig sind, um die Biologie des Lebendigen zu erfassen. Der Artikel, der diese Arbeit detailliert beschreibt, wurde in Nature Communications veröffentlicht und bietet eine solide Grundlage für zukünftige Untersuchungen.
Der Einfluss von Licht auf die Biologie jenseits des Sehens
Licht wird von lebenden Organismen durch Moleküle namens Opsine wahrgenommen, die Lichtsignale in biologische Antworten umwandeln. Traditionell mit dem Sehen assoziiert, sind Opsine tatsächlich an vielen Prozessen beteiligt, wie der Regulation der circadianen Rhythmen oder der Synchronisation von Schlafzyklen. Diese funktionelle Vielfalt zeigt, dass Licht als ein mächtiger Umweltregulator wirkt.
Opsine teilen sich in mehrere Familien auf, darunter c-Opsine, die bei Wirbeltieren vorkommen, und r-Opsine, die bei Wirbellosen häufiger sind. Das Vorhandensein eines c-Opsins beim Wurm *Platynereis* legt nahe, dass diese Moleküle analoge Rollen in verschiedenen evolutionären Linien haben können. Sie wirken oft als Sensoren, die Kaskaden der zellulären Signalübertragung auslösen und beispielsweise die Teilung von Stammzellen beeinflussen.
Jenseits der Augen moduliert Licht Aspekte wie die Hautpigmentierung oder das Pflanzenwachstum via Photosynthese. Beim Menschen ist die Exposition gegenüber natürlichem Licht essentiell, um einen ausgeglichenen circadianen Rhythmus aufrechtzuerhalten. Störungen durch künstliches Licht, insbesondere das blaue Licht von Bildschirmen, können mit diesen natürlichen Prozessen interferieren.
Die Forschung zur Wechselwirkung zwischen Licht und Biologie hilft zu verstehen, wie sich Organismen an ihre Umwelt anpassen. Sie wirft auch Fragen zu anthropogenen Einflüssen auf, wie Lichtverschmutzung, die biologische Mechanismen bei Wildtieren verändern könnte. Durch die Untersuchung von Modellen wie dem Meereswurm erforschen Wissenschaftler die tiefen Verbindungen zwischen der Lichtumgebung und der Entwicklung von Organismen.