Entgegen der landläufigen Meinung scheint die Gesprächigkeit von Frauen im Vergleich zu Männern keine universelle Wahrheit zu sein. Eine neue, umfangreichere und tiefergehende Studie als bisherige Untersuchungen legt nahe, dass dieser Unterschied tatsächlich vom Alter und dem sozialen Kontext abhängt.
Stereotype über geschlechtsspezifische Kommunikation haben lange die Debatten befeuert. Dennoch fällt es der wissenschaftlichen Forschung schwer, diese populären Überzeugungen zu bestätigen. Eine kürzlich im
Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichte Studie bietet neue Einblicke in diese Frage, indem sie die Variationen des Sprechens nach Alter und Geschlecht untersucht.
Ein deutlicher Unterschied im Erwachsenenalter
Im Alter zwischen 25 und 65 Jahren sprechen Frauen durchschnittlich 3.000 Wörter mehr pro Tag als Männer. Diese Altersspanne, die dem Berufsleben und oft auch der Elternschaft entspricht, scheint der einzige Zeitraum zu sein, in dem ein signifikanter Unterschied auftritt. Die Forscher führen diese Differenz auf spezifische soziale Rollen zurück, wie etwa die Kindererziehung.
Bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen oder Senioren wurden keine nennenswerten Unterschiede festgestellt. Dies deutet darauf hin, dass biologische Faktoren wie Hormone nicht die alleinige Ursache sind. Der soziale und familiäre Kontext spielt eine Schlüsselrolle in dieser Dynamik.
Ein allgemeiner RĂĽckgang des Sprechens
Die Studie zeigt auch einen allgemeinen Rückgang der Anzahl der gesprochenen Wörter im Laufe der Jahre. Zwischen 2005 und 2018 sank die durchschnittliche Anzahl der täglichen Wörter von 16.000 auf 13.000. Dieser Rückgang könnte mit dem Aufstieg digitaler Kommunikationsmittel zusammenhängen, die direkte mündliche Interaktionen reduzieren.
Die Forscher betonen, dass dieser Trend alle Geschlechter und Altersgruppen betrifft. SMS und soziale Medien scheinen traditionelle Gespräche allmählich zu ersetzen und damit unsere Kommunikationsgewohnheiten zu verändern.
Individuelle Unterschiede sind größer als geschlechtsspezifische
Die Studie hebt eine große Vielfalt in den individuellen Verhaltensweisen hervor. Die Analyse zeigt, dass die Person, die am wenigsten sprach, ein Mann war: weniger als 100 Wörter pro Tag. Im Gegensatz dazu sprach die Person, die am meisten redete, über 120.000 Wörter pro Tag – und auch dies war ein Mann. Diese Unterschiede zeigen, dass die individuellen Abweichungen viel deutlicher sind als die zwischen Männern und Frauen.
Die Forscher betonen, wie wichtig es ist, die Ergebnisse nicht zu verallgemeinern. Die Gesprächigkeit hängt mehr von der Persönlichkeit und dem Kontext ab als vom Geschlecht. Diese Nuance lädt dazu ein, die hartnäckigen Stereotype über geschlechtsspezifische Kommunikation zu überdenken.
Auf dem Weg zu einem besseren Verständnis sozialer Interaktionen
Matthias Mehl, Mitautor der Studie, arbeitet derzeit an einem innovativen Gerät namens "SocialBit", das vom Fitbit inspiriert ist. Dieses Tool würde die tägliche Zeit messen, die mit Gesprächen verbracht wird, ohne den Inhalt der Gespräche aufzuzeichnen. Das Ziel ist es, die Auswirkungen sozialer Interaktionen auf Gesundheit und Wohlbefinden zu untersuchen.
Laut ihm sind soziale Interaktionen genauso wichtig wie Schlaf oder körperliche Bewegung. Ein besseres Verständnis könnte dazu beitragen, unsere Lebensqualität zu verbessern, insbesondere in einer Welt, in der die digitale Kommunikation einen immer größeren Raum einnimmt.