Gibt es natĂŒrliche Melodien? đŸŽ¶

Veröffentlicht von Redbran,
Quelle: CNRS INSB
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Viele Musikkulturen wĂ€hlen Tonleitern, die einfache FrequenzverhĂ€ltnisse (2:1, 3:2, 4:3) zwischen den Tönen festlegen. Allgemein wird angenommen, dass diese Wahl nur durch die Absicht erklĂ€rt wird, die sensorische Konsonanz gleichzeitig erklingender Töne zu maximieren. Doch laut einem in Current Biology veröffentlichten Artikel ist dies nicht der Fall. Diese Studie zeigt nĂ€mlich, dass einfache FrequenzverhĂ€ltnisse auf natĂŒrliche Weise die Wahrnehmung von Melodien prĂ€ziser machen.


In fast allen menschlichen Kulturen basiert Musik auf Tonhöhenleitern. Diese Leitern definieren, um Melodien und Harmonien zu schaffen, eine kleine Anzahl zulÀssiger FrequenzverhÀltnisse zwischen zwei Tönen aus einer unendlichen Anzahl von Möglichkeiten. Viele Leitern verwenden die einfachen VerhÀltnisse 2:1, 3:2 und 4:3, die Intervallen entsprechen, die in der westlichen Musik als "Oktave", "Quinte" und "Quarte" bezeichnet werden.

Warum sind diese VerhÀltnisse so verbreitet?


Die PrĂ€senz einfacher VerhĂ€ltnisse in musikalischen Leitern wird allgemein damit erklĂ€rt, dass sie die Konsonanz gleichzeitig erklingender Töne aufgrund physikalischer und sensorischer PhĂ€nomene begĂŒnstigen. FĂŒr aufeinanderfolgende Töne hingegen ist die vorherrschende Meinung, dass es kein "natĂŒrlicheres" Intervall als ein anderes gibt.

Zwar wird eine Melodie, die auf einer Leiter mit Oktave, Quinte und Quarte basiert, von einem westlichen Hörer oft als "harmonischer" empfunden als eine andere. Doch diese PrÀferenz wird oft einem AkkulturationsphÀnomen zugeschrieben, bei dem man dazu neigt, das zu bevorzugen, was uns vertraut ist, und wir alle, Musiker oder nicht, sind an Leitern mit einfachen VerhÀltnissen gewöhnt.

Die in Current Biology veröffentlichte Studie legt nahe, dass entgegen der vorherrschenden Meinung Oktave, Quinte und Quarte tatsĂ€chlich natĂŒrliche melodische Intervalle sind, die durch die Funktionsweise des Hörsystems jedes Menschen, unabhĂ€ngig von seiner Kultur, wahrnehmungsmĂ€ĂŸig besonders gemacht werden.

Die Demonstration der Wissenschaftler bestand darin, westliche junge Erwachsene darin zu trainieren, Anomalien ("falsche Töne") in zufĂ€lligen Melodien aus reinen Tönen zu erkennen, die auf verschiedenen musikalischen Leitern basierten. Einige dieser Leitern wurden speziell fĂŒr diese Studie entwickelt. Das Experiment erforderte keine musikalischen Vorkenntnisse. Das Training war lang, um eine SĂ€ttigung der Vertrautheit mit den Leitern zu erreichen.

Das Hauptergebnis zeigt, dass die Probanden mit den Leitern, die einfache FrequenzverhĂ€ltnisse enthielten (2:1, 3:2 und 4:3), besser abschnitten, nicht nur zu Beginn des Trainings – was a priori als Vertrautheitseffekt (Akkulturation) interpretiert werden könnte – sondern auch am Ende des Trainings, das den möglichen Nachteil eines anfĂ€nglichen Mangels an Vertrautheit ausgeglichen hatte. Ein Computermodell legt nahe, dass diese einfachen VerhĂ€ltnisse im GedĂ€chtnis besser reprĂ€sentiert sind, was die Verhaltensergebnisse erklĂ€ren könnte.

Die Studie legt daher nahe, dass die Verwendung einfacher FrequenzverhĂ€ltnisse in musikalischen Leitern weitgehend durch unsere natĂŒrliche Wahrnehmung von Melodien diktiert wird, im Gegensatz zu der Hypothese, dass die Wahrnehmung von Melodien kulturell durch musikalische Leitern geprĂ€gt wird, die somit eher ein bestimmender Faktor als eine Folge sind.


A. Illustration der experimentellen Aufgabe. Bei jedem "Versuch" wurden zwei Melodien prÀsentiert. Melodie 1 bestand aus allen Tönen einer bestimmten musikalischen Leiter, zufÀllig angeordnet, wobei auch der Frequenzbereich der Melodie zufÀllig gewÀhlt wurde; im dargestellten Beispiel ist die Leiter "Major_N", die normale diatonische Dur-Leiter. Melodie 2 ordnete die Töne von Melodie 1 zufÀllig neu an, entweder ohne Fehler oder mit einem Halbtonfehler, der die Leiter von Melodie 1 verletzte. Der Proband musste angeben, ob Melodie 2 einen Ton enthielt, der in Melodie 1 nicht vorkam.

B. Sechs in der Studie verwendete Leitern. Major_S erhĂ€lt man durch eine Dehnung von Major_N um 20 %; diese Dehnung eliminiert die einfachen FrequenzverhĂ€ltnisse 2:1 und 3:2, die (fast genau) in Major_N vorhanden sind. Unif_N, eine von Debussy geschĂ€tzte Leiter, teilt die Oktave (2:1) in sechs gleiche Intervalle und enthĂ€lt kein einfaches FrequenzverhĂ€ltnis außer 2:1. Unif_S dehnt Unif_N um 20 %; diese Dehnung bewahrt das VerhĂ€ltnis 2:1 und erzeugt auch VerhĂ€ltnisse nahe 3:2 und 4:3. Phry und Loc leiten sich von den sogenannten "phrygischen" und "lokrischen" diatonischen Leitern ab; sie unterscheiden sich nur durch ihren vierten Grad, der nur im Fall von Phry ein einfaches VerhĂ€ltnis (4:3) mit dem ersten Grad bildet.

C. "EndgĂŒltige" Leistungen fĂŒr die sechs in B dargestellten Leitern. Jede dĂŒnne Linie reprĂ€sentiert einen Probanden; in blau die Durchschnittsergebnisse. Man sieht im linken Panel, dass die Umwandlung von Major_N in Major_S die Leistungen stark verschlechtert hat. Das mittlere Panel zeigt, dass dieselbe Umwandlung (eine Dehnung um 20 %) hingegen die Leistungen von Unif_N zu Unif_S verbessert hat. Das rechte Panel zeigt, dass die Leistungen fĂŒr Phry besser waren als fĂŒr Loc. Aus all diesen Ergebnissen geht hervor, dass die Leistung durch die PrĂ€senz einfacher (zumindest annĂ€hernder) FrequenzverhĂ€ltnisse in der musikalischen Leiter von Melodie 1 erleichtert wurde.

© Laurent Demany, Catherine Semal, & Daniel Pressnitzer

Mehr erfahren: Demany L, Semal C, Pressnitzer D. Simple frequency ratios naturally make precisely perceived melodies. Curr Biol. 2025 Mar 6:S0960-9822(25)00193-9. doi: 10.1016/j.cub.2025.02.030. Epub ahead of print. PMID: 40081379.